Monatsarchiv: Dezember 2012

TahrirPlatz beim Freitagsgebet

Ohne Worte, Eindrücke vom Tahirplatz, Freitag 13 Uhr am Vorabend der Abstimmung zur Verfassung.

Transparente-1

Zelte vor dem Innenministerium am Tahrirplatz

Wartender-1

Wasser für Wartende

Märtyrer Transparent, Zeltstadt

Märtyrer Transparent, Zeltstadt

Einige Dutzend Getränkestände

Einige Dutzend Getränkestände
Prediger-1

Prediger vor rund 100 Zuhörern

Fahnenstand-1

Mit Fahnen ist hier kaum Geschäft zu machen

etwas Volksfest Stimmung

etwas Volksfest Stimmung

Zeugnisse vergangener Schlachten, abgeriegelte Straße nähe US-Botschaft

Abgeriegelte Straße nähe US-Botschaft

ohne Bilder

von Marcel

Das öffentliche Leben in Kairo steht zunehmend im Bann der Auseinandersetzungn um die politische Neuordnung des Landes. Einerseits. Es geht freilich um Entscheidungen von großer Tragweite für die Zukunft des Landes, insbesondere die Verfassung. Andererseits geht das „normale Leben“ auch normal weiter. Gründe, sich über das Wohlsein der ExPats wie uns Sorgen zu machen, gibt es nicht. Hier trügen wie so häufig die Berichte in den deutschen Nachrichten, die wir hier natürlich auch verfolgen.

Heliopolis kannten bisher nur Eingeweihte, nun ist es ein Medienstichwort. In Korba, einem alten Stadtbezirk mit Flair und den für dort typischen spätgotischen Arkadengängen, liegt auch der Präsidentenpalast. Unweit hiervon befindet sich das MED-ENEC Büro, und so spüren wir freilich, was in diesen Tagen geschieht. Es ist bedrückend zu wissen, dass 1.500 Meter entfernt in den letzten Tages 6 oder 7 Menschen starben, hunderte verletzt wurden. Heliopolis ist zugleich eine eigene Stadt in der Größe Kölns, oder größer, hier liegt der Flughafen, es gibt neue Wohn- und Geschäftsviertel, riesige Malls im US-Stil, sehr arabische Souqs, das größte Klostergelände Kairos, ausgedehnte militärisch genutzte Gebiete, alles in allem ein Konglomerat. Hier wohnen sehr viele Kopten. Nicht zuletzt ist Heliopolis  ein  Stadtbezirk mit einer eigenen, in den Ausgrabungsstätten intensiv erforschten, mehr als 6 tausend jährigen Geschichte.

Gestern Nachmittag standen Korba und die angrenzenden Bezirke in Heliopolis ganz im Bann des Sternmarsches zum Präsidentenpalast. Schon Mittags haben alle Banken geschlossen. Busse stauen sich entlang der Autostad, als ich um 5 in Richtung Maadi aufbreche. Es sind keineswegs nur junge Menschen, die zu den Sammelstellen strömen, viele ältere sind dabei, Väter am Arm ihrer Söhne, einige tragen Fahnen oder Schilder. Nicht Polizisten, sondern Freiwillige regeln den Vekehr. Wir müssen umgekehren und fahren einen weiten Umweg über Nasr-City und New-Cairo.

Der Verfassungsentwurf liegt uns vor, allerdings gibt es wenig Analysen. Einiges findet sich z.B. in Spiegel-online, das Dank Volker Windfuhr über einen profunden Berichterstatter verfügt und mit die beste Berichterstattung für den deutschen Leser aufweist, so weit sich das von hier beurteilen läßt. Es ist eine islamisch gepägte Verfassung, die Scharia wird zur Grundlage erklärt, nicht überraschend. Bemerkenswert ist allerdings, wie vieles offengelassen wird, etwa zum Thema Wahlrecht, zu den Rechten und Pflichten der Verfassungsorgane. Hier ist allerdings nicht der Ort für Detailanalysen. Im Moment überwiegt der Eindruck, Mursi und seine Brüder peitschen eine Verfassung durch, die Opposition nur in engen Grenzen zuläßt und den einzelnen dem Diktat der islamistischen Lenker ausliefern kann. Sie ist offen gegenüber Terror von oben. Sie ist der Zement, mit dem die Muslimbrüder die Grundfesten ihrer Macht errichten wollen, auf die sie 60 Jahre warteten. Doch allen Protesten zum Trotz, und so viel scheint gewiß: Die Verfassung wird so kommen und die Währung wie Börsen quitieren dies als erstes. Beide stehen gewaltig unter Druck. Sie zeigen: Das Land geht einer sehr ungewissen, schwierigen und unruhigen Zukunft entgegen, das weder für Touristen noch Investoren appetitanregend wirkt. Und was benötigt Ägypten mehr? Hier wirken die Medienbilder fatalerweise als negativer Katalysator. Nur, wie gesagt, es ist sind Bilder. Die ganze Wirklichkeit sieht – wie immer – anders aus.

Tuesday Report – die Schnappschüsse (siehe unten)

Bushaltestelle-1 Busse 1-1 Busse 2-1 Mitfahrer-1 Passant 7-1 Passant 8-1 Passanten 6-1 Straßenüberquerer 1-1 Schriftsprache-1 Straßenüberquerer 2-1 Straßenüberquerer 4-1 Straßenüberquerer 3-1 Straßenüberquerer 5-1 Wartende Busfahrer-1

Tuesday Report

Verkehrsteilnehmer am Dienstag

Verkehrsteilnehmer am Dienstag

Der Tuesday Report der  Deuschen Evangelischen Oberschule erscheint zumeist am Mittwoch. Für ägyptische Verhältnisse nichts ungewöhnliches. Tuesday Report? Ein schöner Begriff für Schnappschüsse, wie ich finde, zufällig aufgeschnapptes, immer gleich, immer anders.

Souq und Müll an der "Autostrad"

Souq und Müll an der „Autostrad“

Die Demonstrationen begannen gestern auch nicht um 4 wie angekündigt, sondern deutlich später. So kamen wir erstaunlich zügig von Heliopolis (wo vor dem Präsidentenpalast zehntausende demonstrierten) nach Zamalek (Sternmarsch zum Tahriplatz). Den Rest kennt man aus dem Fernsehen.

PassantWelchen Rest? Da ich an desem Tuesday die Kamera dabei habe, nehme ich mit, was auf dem Weg liegt (Schnappschüsse in dem Beitrag über diesem). Ein typischer Minibus, einer der vielen Stinker. Immer wieder riskieren Menschen ihr Leben beim Versuch, die bis zu siebenspurige „Autostrad“ zu überqueren, meine tägliche Fahrtstrecke ins Büro. Zwei bis drei tausend Straßenüberquerer und wartende Minibuskunden kommen jedes Jahr auf Kairos Straßen ums Leben. Nur wenige Brücken werden noch weniger genutzt. Ampeln gibt’s nicht. Täglich erlebe ich, wie Fahrer rücksichtslos Fußgänger schneiden und gefährden, ich war Augenzeuge, wie ein Minibus zwei junge Frauen umnietete. Vielleicht mal ein Thema für deutsche Medien jenseits von VW-Bulli- und Tuk-Tuk-Romantik.

Polizisten-1Immer anders, immer gleich: Hochmotivierte Gesetzeshüter beim Versuch, die 1,5 Mio „Regelverstöße“ pro Monat (Quelle: Minister für Verkehr, mal 100 nehmen) in den Griff zu bekommen.

Die rostenden Fässer, Inhalt unbekannt. Fässer-1

Der Teekocher an einer tristen Bushaltestelle mit dem schönen Namen „Green Mountain“.

Dies sind exakt die Bilder, die an jedem Arbeitstag an mir vorbeilaufen, verrückte Motorradfahrer eingeschlossen. Termine heute: bei der Kammer, eine Präsentation im „Marriot“. Haltestelle Autostrad/Green GardenIch versuche, die Verkehrslage zu erkunden, kommen wir um vier noch aus Zamalek raus? Die Verfassung sei auf Planwirtschaft ausgerichtet, sagt die Kammer, und eher ein Rückschritt. Vierzig Prozent der Bevölkerung können ohnehin nicht lesen, und was soll man ihnen komplizierte Verfassungstexte erklären?! Samstag ist Urnengang. Eine Farce. Dann passieren wir den Tahrirplatz, wo es später wieder bürgerkriegsartige Zusammenstöße zwischen Verfassungsgegnern und Polizisten gibt. Und schließlich fahren wir am obersten Gerichtshof Gerichtshof 1-1vorbei, einem postmodernen Koloss mit Papyrussäulenimitaten rings herum behütet von Polizisten, die alle zum Gebäude postiert sind. Die Richter sind allerdings protestierend schon gegangen. Sollte noch jemand drin geblieben sein?

Am Tahrirplatz ist Stau. Eine Pferdekutsche wartet vergebens auf Touristen. Der Weg zur Tahrir-Demokratie (letztes Sinn-Bild) ist zur Zeit nicht immer ganz klar auszumachen.

Tahrir