Monatsarchiv: Mai 2013

Women on Walls

Luxor hatte an jenem Tag mehr zu bieten als Tempel. Neben dem Hotel, in dem wir abgestiegen waren, entstand in der Nacht an einer freien Mauer ein Graffiti der Bewegung „Women on Walls“ (WOW). Die Aktion, die ich eher zufällig entdecke, beginnt am Abend mit einer Gruppe junger Frauen und Männer. Sie haben sich organisiert in der ägyptischen Frauenrechtsbewegung Bahaya Ya Masr. Diese feierte zum Internationalen Frauentag auf dem Tahrir-Platz gerade ihr einjähriges Bestehen. Geehrt wurden besonders Hend Nafea, Randa Samy und Fatma Khedr für ihren Beitrag zur Revolution in Ägypten.

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Die Grafitti-Aktion “Revolution Graffiti: Street art of the new Egypt” versteht sich als Bewegung.  Ähnliche Aktionen hat es in anderen Ländern gegeben, ausgehend von „Women on Walls“ in Israel. Das allerdings steht nicht auf der Webseite. Sie hat es geschafft, „mehr als dreißig Künstler in einer dynamischen Straßenkunstaktion zusammenzubringen“, erläutert Bahaya Ya Masr. Die Aktion in Luxor ist gut vorbereitet. 6482-Womanonwall-2

Was mir auffällt ist das Nüchterne, der die gesamte Aktion durchzieht. Die Vorlagen werden zügig angebracht, und nach dreißig Minuten beginnen die Künsterinnen mit den Malarbeiten. 6484-Womanonwall-3 Drei Jahre nach der Arabellion ist der Blick hoch zur Künstlerin auf der Leiter einen kurzen Moment lang skeptisch. Dann wird wieder betriebssam und konzentriert weitergearbeitet für eine Sache, die einen starken künstlerischen Antrieb hat.

In der „Egypt Independent“ wird berichtet: „During the project’s second phase, artists will visit each of the four cities Luxor, Mansoura, Cairo and Alexandria and design meaningful interpretations of women’s empowerment. 6486-Womanonwall-4

The aim is increasing women’s visibility and positively affecting the collective consciousness of each community.“

Nur wenige Passanten bleiben stehen und nehmen Kenntnis. Es ist nicht das Ziel, mit der Graffiti-Aktion selbst Aufmerksamkeit zu erregen. Die Künstlerinnen schaffen, ohne irgendeinen Einfluss von außen wahrzunehmen. Was zählt ist das Ergebnis, das Bild, das hinterlassen werden soll.spacer936405_593343740690054_926342085_n Am nächsten Morgen ist es zu sehen.

http://www.womenonwalls.com

http://www.egyptindependent.com/news/women-walls-campaign-empowers-women-street-art

https://www.facebook.com/events/431966720229187

von Marcel

Theben Ost und Theben West

Finanziert vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV erreichte die „königliche preußische Expedition“ 1842 Theben, genannt Luxor, fasziniert von den wichtigsten Überresten der altägyptischen Kultur. Der Leiter, ein gewisser Herr Lepsius,  erforschte aber nicht nur (als einer der ersten Archäologen) unter anderem die Gräber im Tal der Könige, sondern er bediente sich reichlich. Ganze Sääle und Salons in Berlin sind gefüllt damit und legen Zeugnis ab.

Wir machen uns die Mühe und sind mit dem Nachtzug aus Kairo angereist. Wir begeben uns unversehens zu Tempel von Karnak am Nordrand von Luxor, um zu sehen, was noch übrig ist. Es ist ein heißer Tag im April. Alan und Janis haben hin und wieder einen Schattenspender nötig.

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Gottlob gibt es inzwischen das Digitalmedium zum Mitnehmen der schönsten Ansichten einer seit Jahrhunderten geöffneten Dauerausstellung. Die Zeiten von Lepsius sind vorbei. Wir tauchen ein in eine vier, fünf Jahrtausende alte Welt der Symbolik, der Götterphantasie und Selbstinszenierung.

6342-Karnak-Hypostyl-gesamt6345-Karnak-Horus-HyroglyphRatselhafte Götterwelten sind es für unsereins allemal, denn unser Wissen um Sonnengott Ra und hunderte andere Gottheiten sind begrenzt. Hilfreich sind die Götterlexika im Internet, um sich die immer wiederkehrenden Zeichenkombinationen zu erschließen. Hier zum Beispiel der Horusname.

Karnak liegt am rechten Nilufer in der Stadt, also dort, wo die Sonne aufgeht – im Diesseits nach altägyptischem Verständnis. 6352-Karnak-gr-ReliefUnd riesig ist die Anlage. Wir wandern vorbei an gewaltigen Säulenhainen, einem künstlichen See und immer neuen Mauerformationen rund um den Obelisken.

6380-Obelisk-u-PalmenDieser eine ist geblieben, den anderen hatte Napoleon auf dem Place de la Concorde aufstellen lassen mangels geeigneter eigener Objekte.6374-Karnak-Säulen-mit-Mann6386-Karnak-Relief-Hyroglyp

Am Tag zwei begeben wir uns per Taxi nach Theben West. Dies ist der Ort des Jenseits, an dem die Sonne zur Reise in das Reich des Todes versinkt. Es ist ein Ort des Todeskultes, der in diesen Dimensionen in der Menschheitsgeschichte vermutlich ihresgleichen sucht. Nicht, dass wir den Anspruch hätten, in die Nuancen einzutauchen. Man bräuchte eine Woche oder länger, allein um die 30 oder mehr Grabkammern im Tal der Könige, davon einige Stollen mit über hundert Metern Länge, zu besichtigen. Wenn sie denn geöffnet hätten.6457-Sassi-i-Tal-d-Könige

Im Tal der König verläßt uns ohnehin die Kraft. Die meisten der Thumben sind verschlossen, weiß der Pharaonenhimmel warum. Stil des Hauses der Wächtergilde, vielleicht auch um das Angebot zu verknappen und am Personal einzusparen. 6459-i-T-d-Könige

Man erfährt es sowieso erst an der Einfahrt ins Tal und darf dann wählen. 3 Gräber für 50 Pfund die Person. Macht 25 Euro. Manches bleibt eben auch heute rätselhaft. Wie die Steinmosaike, unter denen vielleicht gerade hier noch ein unentdeckter Thumb schlummert voller Gold und anderer Reichtümer.

6400-Deit-el-Medina-ReinigeIn einem der Tempel wird gerade an den Reliefs gearbeitet, mit Borsäure werden Einschwärzungen beseitigt, die Besucher nach Gebrauch eines Lagerfeuers hinterließen. Einige Jahrzehnte sind vergangen zwar, doch überrascht es uns? Im übrigen haben auch die wenigsten Ägypter Luxor besucht, man hat es einfach und damit gut iss. 6410-el-Medina-Relief-eroti

Wir entdecken im Reich der Toten eine klar erotische Komponente, die weiterer Erklärung nicht bedarf. Ansonsten schlagen wir nach, um Götter und Herrscher zu entziffern, aber wir begreifen es einfach nicht: Wie war es möglich, dass die Baumeister von einem derartigen Perfektionismus inspiriert waren? Im Tempel zu Ehren von Amun, dem Sonnengott steht man weißgott fassungslos vor Sockeln, Statuen und Säulenhainen.

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6429-Amun-Tempel-3-Säulen6436-Amun-und-SchafsherdeViel ist nicht los im Tal der Könige, fast ein wenig verträumt wirkt der Tempel des Amun, als wir uns an seinem Eingang in einer Teestube erholen. Den Besuch des Tempels von Hatschepsut haben wir uns für den Schluss ausgehoben, als die Kraft der Sonne ihren Höhepunkt erreicht.

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Es sind dies Bilder wie sie millionenfach in den Erinnerungsalben von Besuchern zwischen Tokio und Sonstwo schmoren, gewiß. Um zu sagen: Wir waren hier, an diesem Ort, der sicher zu den beeindruckendsten überhaupt gehört. Wir verlassen das westliche Theben, an dem zwei riesige Kolosse stehen, mit dem Gefühl, kulturell nicht mithalten zu können. Hinter den Felsen irgendwo ist ein Tal, in dem sich die Könige ein Jahrtausend lang haben bestatten lassen. Ja, wenn es denn alles so einfach wäre.

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Meditation der anderen Art

Blackout. Das Warten auf das Ende des Stromausfalls ist inzwischen fester Bestandteil des Tagesrhythmus. Seit einer Stunde harren wir nun schon aus in der Hoffnung, den Sufi-Tanz doch noch sehen zu können. Die Fotokamera ist längst eingestellt, auf dem Stativ montiert und auf die Bühne ausgerichtet. Wir sitzen im Innenhof einer Karawanserei aus dem 16. Jahrhundert nahe dem größten Bazaar Kairos Khan el Khalili. Inzwischen hat sich das Auditorium merklich gelichtet. Wir legen uns auf den freigewordenen Bankreihen lang, lauschen den Wortfetzen in allen möglichen Sprachen. Zuschauer lichten sich zum Zeitvertreib unter Gelächter bei Dunkelheit gegenseitig ab.  Meditation der anderen Art. Da ward es wieder Licht. Spöttischer Applaus zu Ehren des Energieministeriums erhebt sich. Endlich geht es los.

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Für das Warten werden wir mit einer Augenweide aus Farbe, Form und Bewegung belohnt. „Sufi“ (Wolle) entstand im 8. Jahrhundert in verschiedenen Ländern der arabischen Welt und der Türkei. Es war eine Abkehr von den wortreichen islamischen Führern, dem ausschweifenden Leben und ihren zunehmend auch politischen Ambitionen.  In seiner Askese und Reduktion blieb es den Mächtigen suspekt. Noch 2010 fühlte sich die Mubaraks Ministerium für Religionsausübung bemüßigt,  einen Bann über die Sufi-Klöster Ägyptens auszusprechen und die Tänze zu verbieten. Auch nach der Revolution kam immer wieder zu Schändungen von Sufi-Schreinen. Die darauf folgenden gewaltsamen Proteste rund um die Moscheen Kairos spielten den radikal-islamischen Kräften in die Hand. 

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Dabei erscheint die Botschaft der Sufi alles andere als subversiv: Der rechte Arm ist zum Himmel gerichtet, um Gottes Gnade zu empfangen. Der linke Arm zeigt zur Erde, um den Menschen Gottes spirituelles Geschenk zu überbringen. Durch das Rollen von rechts nach links über das Herz umarmt der Sufi die Menschheit mit Liebe. Das menschliche Wesen wurde mit Liebe erschaffen, um zu lieben. Das Drehen um die eigene Achse bei gleichzeitigem Umkreisen eines Zentrums symbolisiert die Planeten auf ihrer Umlaufbahn um das Göttliche – die Sonne. Und das zu einer Zeit, als die katholische Kirche noch fest vom geozentristischen Weltbild überzeugt war. 

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Nach über einer Stunde Drehen verlassen die Mönche in sich hinein lächelnd mit festem Schritt die Bühne. Uns ist es schon vom Zusehen ganz schwindlig. Im Kopf hallen noch die eindringlichen Klänge der Schalmeien und einiger anderer mittelalterlicher Instrumente nach. Wir bleiben zurück – nicht ganz schwankungsfrei, aber mit vielen eindrucksvollen Bildern.
 

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Sand & Sound

Es ist früh morgens halb sechs. Die Sonne sendet gerade ihre ersten Strahlen über die Dünen. Perfektes Foto-Licht. Nichts wie raus aus dem Zelt. Ich schäle mich noch in voller Montur aus der dicken Kamelhaardecke. Die Nacht in der Wüste war empfindlich kalt. Wir hatten das Zelt mit Metallstangen verstärkt, damit es dem starken Wind stand hält. Ich klettere auf einen der höchsten Sandberge der Umgebung.

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Eine Kette aus Licht und Schatten soweit das Auge reicht. Wind geformt. Einer Wellen-Reihe gleich. Zur einen Seite steil ansteigend, zur anderen sanft abfallend. Jedes Jahr bewegt sich die Welle 10 Zentimeter. Zeit zum Sinnieren.  Warum ist die Wüste nicht einfach platt? Woher kommen diese Wellen-Reihen in der Mitte von Nichts? „Maus-verdächtige“ Fragen. Wieder in Köln zurück, reiche ich sie beim WDR ein. Einstweilen muss Wikipedia reichen: „Helmholtzsches Gesetz. Strömen zwei Medien unterschiedlicher Dichte bei konstant hohen Geschwindigkeiten aneinander vorbei, so ergibt sich eine wellenförmige Begrenzungsfläche. Sie ist strömungsenergetisch günstiger als eine Ebene.“

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Wie auch immer. An den „wellenförmigen Begrenzungsflächen“ kann ich mich nicht satt sehen.  Nur für diese Blicke hat sich die sandige Nacht schon gelohnt. Es kitzelt mich noch überall. Wochenendausflug zu den nächstgelegenen Dünen in der westlichen Sahara zwei Stunden von Kairo entfernt. Wir sind mit 20 Jeeps unterwegs. 

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Die Veranstalter sind ein deutsch-ägyptisches Ehepaar. Er – der hagere Expediteur, dem man ansieht, dass das keine einfache Branche ist. Sie – zur Sicherheit bei ausbleibendem Tourismus Religionslehrerin an einer deutschen Schule. Entsprechend sind unter den Teilnehmern viele Expats aus deutschen Institutionen und Unternehmen. Darunter bekannte Gesichter. Die Community ist überschaubar. So lassen sich die Gespräche aus der deutsch-arabischen Handelskammer über Sozialstandards bei Henkel in Port Said bequem in der Wüste weiter führen. „Juice & Cocktail“ haben die Veranstalter das Wüsten-Wochenende genannt. „Sand & Sound“ hätte besser gepasst. Schließlich gab es am Vorabend das Desert-Quartett vor Beduinen-Plane gegen den Sandsturm.

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Weiter geht’s drei Stunden über Rüttelpisten im Jeep zum Salzsee Qarun im Osasenbecken Fayoum. Die Landschaft hat sich komplett geändert. Wir fahren Schlangenlinien um riesige Basaltblöcke. Soweit das Auge reicht Lavabrocken, versteinertes Holz und sogar versteinerte Knochen. Wir steigen immer wieder aus, bekommen Instruktionen, erfahren, dass hier vor Millionen Jahren Affen und Elefanten gelebt haben. Von hier sollen die auch die Gesteinsblöcke zum Bau der Pyramiden kommen. Angesichts der menschenleeren Landschaft fällt nicht schwer, sich die Vulkane tätig vorzustellen.

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Letzte Station für dieses Wochenende ist ein versteinerter Wald. Im Tippelschritt hintereinander laufen wir die Stämme entlang.  Ein Eldorado für Geologen. Vor 35 Millionen Jahren mit der Entstehung des Rotes Meeres hat es die Bäume hier her geschwemmt.  Doch damit sie versteinern konnten, bedurfte es besonderer Umweltbedingungen: Eine Lagune, vulkanische Schlote und kieselsäurehaltiges Wasser. Die Verkieselung oder Silifizierung konservierte die Bäume. Jurassic Park live.

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