Monatsarchiv: Dezember 2013

„Kauf doch Lavazza“ – 60 Jahre Longchamp

Interview mit Hebba Bakri, Direktorin und Eigentümerin des Hotels Longchamp in Kairo, geführt am 8. November 2013 von Marcel

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Wir sitzen hier auf der Veranda, 5. Etage, mitten in einer sehr urbanen Umgebung auf der Nilinsel Zamalek, aber sehr ruhig. Was ist Longchamp heute?

Heute ist Longchamp eine Institution in Kairo. Mit Höhen und Tiefen. Wir sind ein kleineres Hotel mit 48 Betten mit 21 Zimmern. Mit 24 Angestellten. Viele Gäste der letzten 12 Jahre haben das Hotel als Oase bezeichnet. Ich habe Glück, in dieser Oase zu arbeiten.

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Wie fing es an?

Begonnen hat es vor 60 Jahren. Die letzten 12 Jahre gehen auf meine Kappe, die restlichen gehen auf die Kappe meiner Mutter. Der Name meines Hotels kommt vom Hippodrome de Longchamp in Bois de Boulogne in Paris, also eine Pferderennbahn. Hier in Zamalek war im Sportclub Gezeira das Pferderennen zu Hause, also in den dreißiger Jahren, noch zur Königszeit. Bis heute gibt es Freitag und Samstag Pferderennen, nur wird nicht mehr gezockt.

60 Jahre Veränderung?

Meine Mutter hatte diese Räumlichkeiten 1953 zunächst nur im Mai und September gemietet. So fing es an. Viel Veränderungen, ja, das meiste ist aber so geblieben. Als ich es 2002 übernahm, war es nur ziemlich heruntergewirtschaftet, die letzten Jahre konnte meine Mutter nicht mehr so gut. Ich bin dann aus Deutschland zurückgekommen. Ich habe mit viel Schulden geerbt, heute bin ich schuldenfrei.

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Wie war der Wechsel?

Sehr groß. Der Kulturschock war enorm. Bis heute habe ich noch meine Probleme. Die Arbeitsmoral. Die Einstellung, Dienstleister zu sein. Es ist natürlich auch schwierig, als Frau als der Abnehmer, Unternehmer zu sein. Ich schockiere immer mein Personal, Team, was heute Team geworden ist. Gestern hatte ich zum Beispiel einen Engpass an Kellnern, ich wollte einen einstellen, und da habe ich ihn gefragt: Bist zu bereit „zu servieren“,, wie es im arabischen heißt, „als Diener“ zu arbeiten, to serve, und da hat er nicht antworten können. Es ist etwas minderwertiges. Er war mit einem tollen Lächeln gekommen, wollte sich positiv darstellen. Als Frau muss ich mich durchsetzen. Dabei versuche ich ihre Sprache zu sprechen.

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Ein kleines Hotel in Kairo. Wie viele Betten bietet die Stadt?

Es sind 180,000, dabei wollte der letzte Tourismusminister für weitere 120,000 Betten Hotels bauen lassen. Aber es gibt keinen Tourismus mehr. Es kommen bei mir, wo es noch läuft, immer noch Stammgäste, wenn auch weniger. Darauf habe ich mich konzentriert, nicht ein Touri-Hotel zu sein, sondern als Gäste Journalisten, Diplomaten, Short Term Experten, GIZler, EU-Projektler und Archäologen zu haben. Das spricht sich herum. Auf der Feier waren zum Beispiel vier Botschafter da, Estland, Deutschland, Österreich, die Schweiz. IMG_4141

Entsprechend sitzen die Leute abends zusammen. Wir sind ein Treffpunkt. Und nicht der große Garten des Marriot.

Rückblende. Du bist in Kairo aufgewachsen?

Bis zu meinem 18. Lebensjahr war ich hier, dann ging ich nach Deutschland. Das war noch ein anderes Kairo, weniger Leute und Autos auf der Straße, man war dankbarer, freundlicher. Es gab nicht diese Unterwürfigkeit. Heute sind zu oft Nebengedanken im Spiel. Aber nicht durchgehend. IMG_4161Der harte Kern hier ist so etwas wie eine Familie geworden.

Was heißt in Kairo „Familie“?

Zum Beispiel Ali. Er hat vor 13 Jahren als Kellner angefangen. Die ersten 5 Jahre kam er immer zu spät. Ich war immer vor sechs da, er kam um sieben. Heute ist er meine rechte Hand, er geht in die Küche, kellnert, er macht aus sich was. Ich schicke ihn auch auf Workshops, er geht zu Veranstaltungen des Federation for Tourism. Ich habe ihn gefördert, er gibt zurück.

Somit auch Orientierung für andere?

So funktioniert es.

Du arbeitest zu viel.

14 Stunden Tag.

IMG_4172Man macht sich Sorgen.

Ach das finde ich aber nett. Sagt mir niemand, aber gut, dass ich es jetzt weiß. Es ist ja nicht umsonst. Schließlich habe ich eine Aufgabe. So etwas wie andere zufrieden zu machen. Auch wenn ich so etwas wie die Seele des Hotels bin, jeder ist ja auch austauschbar. Das vermittle ich dem Team. Alles hat seine Zeit. Ich möchte das Ende selbst bestimmen. Ich kann mir vorstellen, irgendwann wieder nach Deutschland zu gehen.

IMG_4174Wie ist Dein Kontakt zu Deutschland?

Ich lese täglich die Nachrichten, schaue Morgenmagazin, dann weiß ich auch dass es schneit und dass Gäste ein Problem haben können zu kommen. Ich führe einen zweiten Haushalt in Deutschland, denn ich muss ab und an hier raus.

Und zu Ägypten?

Zum Beispiel bekomme ich jeden zweiten Tag Behördenbesuche, die örtliche Polizei, städtische Polizei, Touristenpolizei, Gesundheitsamt, von der Provinzregierung. Manchmal mache ich Catering. Da bleibt wenig für das persönliche Leben übrig. Und dann Tage wie letzten Freitag. Ein Todesfall eines engen Freundes. Kurz nach dem ich davon erfahren hatte, hatte ich einen Wasserrohrbruch. Der Hausmeister nimmt nicht ab, mein Computer ist abgestürzt. Ein Gast beschwert sich über einen alten Apfel in seinem Zimmer. Ein anderer Gast findet seinen Ring nicht mehr. Dann finde ich ihn auf seiner Rasierseife. Das Frühstück habe ich dann abgesagt. Dabei war das noch nicht alles.

IMG_4176Ziemlich schlechter Tag. Aber das Longchamp funktioniert.

Ja. Beispiel: Ich muss dafür sorgen, immer deutschen Kaffee hier zu finden, morgens zum Frühstück, so banal es ist. Gibt es aber nicht auf dem Markt. Dann sagte jemand, dann gibt’s halt keinen Kaffee mehr. Kauf doch, na, Lavazza. Dafür habe ich aber keine Maschine, ich will, dass sich jeder einfach einen Kaffee von der Karaffe nehmen kann. Deutscher Kaffee ist halt deutscher Kaffee.

IMG_4167Zwei sogenannte „Revolutionen“. Was hat sich geändert?

Gravierend. Ich sehe es mal von der positiven Seite, dass Menschen jetzt offen, also öffentlich mitreden dürfen. Aber das ist Prozess, das hat niemand gelernt. Die Kehrseite: Nicht jeder, der redet, hat wirklich etwas zu sagen. Aber was aufgebaut wurde, verfällt, immer drastischer. Es wird Jahre dauern, das wirtschaftlich wieder aufzuholen. Ich muss sagen, ich bin skeptisch.

Wie steht es um die Sicherheit? Darüber wird ja in Deutschland gerätselt.

Das Problem ist, dass es viele Menschen auf der Straße sind, aber die Polizei ist nicht präsent. Aber man sieht wieder die Krallenjäger, die Touristenpolizei ist wieder aktiv, an der Spitze ist ein neuer Mann. Man will neue Evakuierungspläne machen. Natürlich haben viele Angst. Es wird kommen, ich habe einen langen Atem. Das Land lebt auch von solchen Experten, die kommen und helfen.

IMG_4159Weitere Hinweise und Bilder unter

http://www.hotellongchamps.com/