Zu Besuch im Sixth of October City

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Strassenhändler Dessert Road

Wann und wo genau der Abgesang Ägyptens eingesetzt hatte, wer wüßte das zu sagen? Für manche begann er unter Sadat. Ein „Dilettant“, wie Peter Scholl-Latour sagt, mag er nicht gewesen sein, aber an den Grundproblemen änderte er wenig und neue kamen hinzu. Doch 1979 ließ er zur Erinnerung an eine zu 40 Prozent gewonnene Schlacht gegen Israel die Satellitenstadt Sixth of October City (6oOC) gründen, 30 km vor Cairo, mitten in der Wüste. Viel Wasser wird aus dem Nil hochgepumpt, um die eingezäunten, bewachten Compound-Rasen von rund 500.000 Six-of-october-cityanern zu bewässern, Swimmingpools zu versorgen und komfortable Karorossen zu waschen.

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Compound Flower City

Die Compounds tragen traumhafte Namen wie „Swan Lake“, „Evergreen“, „Green village“ oder „Mountain view“, obwohl es eben so wenig Bergwiesen wie Schwäne gibt. Gebaut wird noch überall und das wird vorerst so bleiben bis irgendeinmal geplant vier Millionen Menschen auf 400 QKm leben können sollen, inklusive Industriezone, Medienstadt, Silikon Valley und 7 Universitäten. Auch BMW und General Motors haben hier ihren Sitz. Selbst an die Kleinen ist gedacht: Der riesige Freizeitpark „Dream Land“ grüßt uns nach 2-stündiger Anfahrt samt Achterbahn und Disneylandambiente, übrigens kurz nachdem man auf der „Dessert Road“ die Pyramiden von Giza hinter sich gelassen hat. Da soll jemand sagen, Ägypten hätte keine Gegensätze zu bieten.

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Pool im Compound

6oOC repräsentiert jedenfalls ein modernes, geradezu amerikanisches Ägypten und kommt dabei ganz ohne Andenkenshops a la Khan el Khalili aus. Vom einstmals besungenen „Zauber des Orients“ ist hier jedenfalls nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben – so sicher das Eigentum, so schmuck die Häuser sein mögen, und so sauber die Compounddurchfahrtstraßen, die in der wüstig-heißen Nachmittagssonne entvölkert vor sich hin glühen. Wir wollen niemandem zu nahe treten, für den solche Vorzüge für die Wohnentscheidung maßgeblich sind.

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Parkplatz und wir

Am Wochenende sind wir noch einmal zu Besuch bei Kollegen und lassen uns die Chance zum Besuch der „Mall of Arabia“ nicht entgehen. http://www.mallofarabia.com.eg/ (mit virtual Tour!!!) Hierbei handelt es sich um einen von dem Saudischen Prinzen Fawaz Alhokair Group http://fawazalhokair.com/  finanzierten Groß-Mall, der vor allem global agierende Markenboutiken, Ambiente-Handware, Elektronikvorschrott und einschlägige Coffeshops nebst Kaufhaus und Kino beherrbergt, aber ohne Bethaus. Auch Autos kann man hier kaufen. Solche Malls gibt es inzwischen in jedem Land der Welt „von der Stange“, wahlweise in die Höhe oder in die Breite gebaut. In Saudiarabien hat der Prinz schon 13 Mega-Malls auf 1.2 mio Qm gebaut.

7356-FresshalleDer hier ist eingeschossig und macht sich entsprechend breit. In der Mitte mit Zirkusdauerkuppeldach und obligatorischem FastFoodFressFleck. Trotz des Preisniveaus (T-Shirt: 35 EUR, Cappuccino: 2,30 EUR) üben solche Institutionen auf Großfamilien mit voll verschleierten Müttern, Tanten und Großmüttern offensichtlich besonderen Reiz aus, überdurchschnittlich hoch ist ihr Anteil hier. 7365-Frauen-schoppenDas orientalische ist also noch da, wenn gleich eher verinnerlicht, zurückgezogen hinter schwarzen Stoffen, aber durch einen schmalen Sehspalt mit der Kunstlichtglitzerwelt verbunden – oder vereint.

7369_RAFünf km weiter entsteht gerade ein noch größerer Mall, und man darf gespannt sein, wann die dritte Kunsteinkaufsvergnügungswelt dazukommt, mit einer begehbaren Pyramidenkopie und Rotem Meer Tauchbecken Aquarium.

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2 Antworten zu “Zu Besuch im Sixth of October City

  1. Heike Reinemann

    Hallo liebe Seyppels,
    wir freuen uns, dass es Euch gut geht, regelmäßig lese ich die Nachrichten aus Kairo. Bitte meldet Euch doch mal telefonisch (die Nummer ist die alte) oder per Skype.
    Grüße aus dem Pott
    Heike

  2. Verrückt! Man versucht die Welt überall (nach westlichem Muster) zu vereinheitlichen. … und so eine künstliche Stadt, wer will denn in so etwas leben? Das erinnert mich irgendwie an „Truman Show“.

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